„KLEBEN UND KLEBEN LASSEN“ – Gedanken zu Zivilen Widerstand, Recht und Moral

22 Dez 2022 | HERZensangelegenheiten

Mit diesem Spruch spielt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder seit Wochen, wenn er zum zivilen Widerstand Stellung nimmt. Gleichzeitig schränkt er aber sofort ein, geltendes Recht dürfe nicht gebrochen werden. Es wird gerade viel über Grenzen diskutiert. Moralische Grenzen, die wir möglicherweise mit unserem Lebensstil überschreiten. Rechtliche Grenzen, die junge Menschen mit ihren Klimaprotesten überschreiten. Was ist legitim? Wann dürfen wir, ja sollten wir diese Grenzen überschreiten? Ist rechtens, was Recht ist? Können wir das Recht des Einen gegen das Recht eines Anderen ausspielen?

 

Was richtig und falsch ist, was Moral ist, darüber wird seit der Antike diskutiert und philosophiert. Sokrates, Platon und Aristoteles prägten die Sichtweise, dass wir nicht in der Lage seien, den Unterschied zwischen Gut und Böse festzulegen. Ihr Grundgedanke war: „Der Mensch handelt schlecht, wenn er das Gute nicht weiß“. Auch Immanuel Kant war ein Vertreter dieser Denkrichtung. Sein kategorischer Imperativ lässt keinen Spielraum. Für Kant war klar, eine Lüge ist indiskutabel, auch wenn die Wahrheit dazu führt, dass andere Schaden erleiden. Alle Moralphilosophen dieser Schule sind überzeugt, dass es eine universelle Wahrheit geben müsse. Dem gegenüber steht die subjektive Moral, wie sie Epikur vertreten hat. Er war überzeugt, es sei moralisch lustbetont zu leben. Damit meinte er aber ein Leben in Einklang mit sich und der Natur. Da diesen Pfad jede/r für sich selbst entdecken müsse, so Epikur weiter, ist Moral hochgradig subjektiv. Auch dieser Denkrichtung folgten über die Jahrhunderte viele Philosophen nach. So sah beispielsweise Arthur Schopenhauer im Mitleid den Ursprung für moralisches Verhalten. Aber haben wir diesen „Common Sense“, also „gesunden Menschenverstand“ wie es die Pragmatisten nennen? In den letzten Jahren berufen sich Querdenker, Pegida aber eben auch Organisationen des zivilen Widerstandes wie der Aufstand der letzten Generation auf das Widerstandsrecht und hiermit auf unser Grundgesetz, Artikel 20, Absatz 4, das mit der Notstandsgesetzgebung 1968 in das Grundgesetz eingefügt wurde. Das Widerstandsrecht soll Bürger:innen ein Abwehrrecht gegenüber einer rechtswidrig ausgeübten Staatsgewalt einräumen, mit dem Ziel die dann gefährdete Rechtsordnung wiederherzustellen.

Wer definiert wann das Recht auf Widerstand greift?

Strittig ist nur, wann dieses Recht zum Widerstand greift? Schon, wenn die Gefahr aufzieht, oder erst, wenn die Rechtsordnung schon zusammengebrochen ist. Und wann ist unsere Rechtsordnung überhaupt gefährdet. Meinungsfreiheit, Impfplicht, Stammzellenforschung, Gentechnik, Klimawandel, globale Gerechtigkeit, die Liste potentieller Gefahrenherde ist je nach Blickwinkel unterschiedlich. Und wir Alle haben gemeinsam, dass wir blinde Flecken haben. Das ist unvermeidbar, angesichts der Vielschichtigkeit und Komplexität unserer globalisierten Welt. Und unsere Politiker:innen haben die undankbare Aufgabe, unter dem Einfluss unablässiger Manipulationsversuche durch Lobbyistenverbände,  dem Ganzen gemäß unserem Moral- und Rechtsverständnis Sinn zu geben. Dabei haben die Meisten aber immer die Interessen derer im Blick, die sie vertreten, obschon der Blick, wenn es um Recht geht, meines Erachtens nicht an den Grenzen unseres Verantwortungsbereiches enden sollte. Wir sehen in vielen Teilen der Welt gerade, wie sich Machthaber:innen mit immer größerer Unverforenheit Moral und Recht so definieren, wie es ihnen beliebt. Ich glaube, dass uns unser Recht, unsere Moralvorstellungen am Ende Leitplanken setzen. Das ist wichtig. Es entbindet uns aber nicht von unserer Verantwortung. Mit dem 1930iger Jahren wurde der Begriff des „Century of the Self“ geprägt, als das „Jahrhundert des Ichs“. Das hat uns viel Fortschritt und Wohlstand gebracht, aber auch neue Probleme und Herausforderungen geschaffen. Vielleicht brauchen wir jetzt die nächste Stufe der Evolution, das „Jahrhundert des WIR“?

Dieses „WIR“ braucht Mitgefühl über sich und seine nächsten Hinaus. Kurz, es braucht ein Wunder. Ein Wunder, in dem wir alle beginnen, für unser Verhalten Verantwortung zu übernehmen und nein zu sagen, dort wo die Dinge klar sind. Wenn wir also ausbeuterische Fastfashion in den Regalen liegen ließen, wenn wir Fleisch aus Massentierhaltung auch für den billigsten Preis nicht kauften, weil wir eigentlich alle wissen, dass das falsch ist, ja dann, könnte das Wunder des „WIR“ Wirklichkeit werden und wir würden vielleicht merken, dass es gar nicht so viel materiellen Wohlstand braucht um glücklich zu sein, könnten anfangen zu teilen und nein zu sagen.